Julian Reichelt - CICERO - GASTBEITRAG!
- Ricarda schönfischstein
- 8. März 2022
- 4 Min. Lesezeit
Russland und der Westen-Putins Propaganda in Deutschland Der Kreml und seine Geheimdienste haben die öffentliche Meinung hierzulande seit Jahren im Sinne russischer Interessen unterwandert, meint unser Gastautor Julian Reichelt. Um der hybriden Bedrohung durch Wladimir Putins Regime zu begegnen, sollten wir daher unsere Abwehr gegen Desinformation stärken. EIN GASTBEITRAG VON JULIAN REICHELT am 7. März 2022
ANMELDEN Seit einigen Tagen sind sich alle einig, dass „wir“ Wladimir Putin vollkommen falsch eingeschätzt haben. Jene, die besonders falsch lagen und mit besonderer Skrupellosigkeit gegen die wenigen realistischen Warner vorgegangen sind, sagen jetzt besonders laut „wir“ und betonen, wie geschickt Putin sie getäuscht habe. Was jetzt niemandem mehr hilft, ist triumphierendes „Wir haben’s euch ja gesagt“-Geheul. Was aber überragend wichtig ist und über Krieg und Frieden in Europa entscheiden wird, ist, gegnerische Strukturen in Zukunft früher zu erkennen, klarer zu benennen und kompromissloser zu bekämpfen. Der Kreml und sein gigantischer Geheimdienstapparat hat uns in den letzten Jahren nahezu widerstandslos unterwandern können, weil „die russische Gefahr“ als reaktionäres Weltbild „alter kalter Krieger“ galt – ein gewaltiger Sieg der Desinformation für Wladimir Putin. Wir hörten in Deutschland, was Putin uns hören lassen wollte. Wir lasen, was Putin uns lesen lassen wollte. Leicht zu erkennen ist das am Talkshow-Test: In deutschen Talkshows zum Thema Russland, meist von Gebühren finanziert, durften bis vor kurzem routinemäßig die schlimmsten Kreml-Apologeten auftreten, um „die russische Sicht“ vor der legitimierenden Kulisse von Lanz, Will und Illner zu verbreiten. Gleichberechtigt mit der Sicht unserer freien Gesellschaften. Natürlich sind die Sicht von Demokratie und Diktatur niemals gleichberechtigt, aber Putins Propagandamaschine ist es gelungen, diese Selbstverständlichkeit nahezu komplett aus der deutschen Medienlandschaft zu tilgen. „Deutschland und Russland ging es historisch immer am besten, wenn die Länder eng zusammengearbeitet haben“, war so ein im Kreml gefertigter Propagandasatz, der in öffentlich-rechtlichen Talkshows Millionen und Abermillionen Menschen eingepflanzt wurde durch ideologische Kreml-Propagandisten wie Gabriele Krone-Schmalz, Gerhard Schröder, Matthias Platzeck, Harald Kujat, Sahra Wagenknecht. Ein Satz, perfekt zugeschnitten auf die pazifistischen Sehnsüchte des deutschen Publikums. So perfekt, dass kein Moderator mal widersprach und sagte, dass es diese Zusammenarbeit historisch nur ein einziges Mal (kurzzeitig) gegeben hat, nämlich im Hitler-Stalin-Pakt. Wann immer Russland völkerrechtlich monströse Schreckenstaten beging, wie beim Abschuss von Flug MH17, verbreiteten deutsche Politiker, dass auch für Putin „erstmal die Unschuldsvermutung“ gelten müsse. Die Ukrainer erleben gerade auf mörderische Weise, was es bedeutet, wenn man für Despoten wie Putin selbst dann noch die „Unschuldsvermutung“ gelten lässt, wenn er Panzer an den Grenzen der EU auffahren lässt. Nützliche Idioten Der KGB, der Putins Denken geprägt hat, wusste schon immer um die eigene technische Unterlegenheit gegenüber westlichen Diensten und um die wirtschaftliche Unterlegenheit des eigenen Landes gegenüber freien westlichen Gesellschaften. Russland konnte den eigenen Bürgern noch nie Perspektiven bieten, deswegen war das einzige Ziel schon immer, die Strahlkraft des Westens zu schädigen. „Ihr seid auch nicht besser“ war schon immer das bestmögliche Ergebnis, das der KGB erzielen konnte. Um diese Sicht ohne große technologische Fähigkeiten zu verbreiten, widmete man sich jenen westlichen Menschen, Gruppen und Institutionen, die man für die größten „nützlichen Idioten“ hielt und flößte ihnen „die russische Sicht“ ein, kombiniert mit dem Versprechen, dass diese Sicht zu Frieden und einer besseren Welt führen würde. Nur wahre Idioten können das ernsthaft glauben, wenn so etwas von einem offenkundigen Unrechtsregime kommt, aber Russlands Geheimdienste verstanden schon immer: Menschen glauben, was sie glauben wollen. Was Menschen in Deutschland glaubten oder glauben wollten, erscheint uns heute absurd, hat aber jahrzehntelang die deutsche Debatte über Russland geprägt: Der Spiegel wollte glauben, dass es sich bei der Gruppe „Fancy Bears“ um aufrichtige Hacker handelte, die die Welt zu einem besseren, gerechteren Ort machen wollten, und nicht etwa um eine militärische Cyber-Einheit des russischen Geheimdienstes GRU. Immer wieder verbreitete der Spiegel „Enthüllungen“ unter Bezug auf „Fancy Bears“, mal über den Nato-Kommandeur, mal über gedopte westliche Sportler. Es mag absurd erscheinen, dass der Spiegel ausgerechnet den russischen Geheimdienst nutzte, um westlichen Sportlern Doping vorzuwerfen. Es mag heute absurd scheinen, dass der Spiegel russische Geheimdienstquellen nutzte, um der Nato aggressive, anti-russische Operationen in der Ukraine zu unterstellen. Aber es ist tatsächlich so geschehen, weil Putin in Deutschland ein Denken miterschaffen hat, in dem solche Absurditäten normal und vernünftig schienen. Gesunde Paranoia T-Online beschäftige Gerhard Schröder als Kolumnisten und verbreitete stolz dessen Propaganda, die immer schon als kriegsvorbereitend erkennbar war und heute – endlich – auch breit so gesehen wird. Warum war das so? Weil der russische Geheimdienstapparat schon immer die Eitelkeit von Menschen zu nutzen wusste, besonders die Eitelkeit von Journalisten. Für einen „Scoop“ oder einen großen Namen wie Schröder stellte sich die deutsche Medienlandschaft zu oft zu gern in den Dienst der Kreml-Botschaft. Eines der skurrilsten und gleichzeitig furchterregendsten Beispiele für Putins sagenhaften Erfolg in Deutschland ist das Buch des Drogerie-Unternehmers und Gerhard-Schröder-Freundes Dirk Roßmann. Sein Werk „Der neunte Arm des Oktopus“ handelt davon, dass Wladimir Putin eine globale Klimakatastrophe abwendet und dafür den Friedensnobelpreis erhält. Durch die Verkaufsmacht der Rossmann-Kette wurde das üble Propaganda-Werk zum Spiegel-Bestseller. Schröder übergab ein Exemplar persönlich an den „Friedensnobelpreisträger“ Wladimir Putin. Wer vor vier Wochen auf solche Absurditäten hinwies, galt als russophober Verschwörungstheoretiker. Heute legt diese „Verschwörungstheorie“ ganze ukrainische Städte in Schutt und Asche. „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind“, sagt Woody Allen. Putin hat es durch Desinformation und Propaganda geschafft, uns die gesunde Paranoia abzutrainieren, die uns vor unseren Gegnern beschützt. Wir müssen in Politik, Medien, Wirtschaft und gesellschaftlichen Organisationen wieder lernen, Narrative zu erkennen, die vor allem dem Kreml nutzen – und ihre Quellen mit aller Macht zu hinterfragen, auch mit Staatsanwaltschaften und Geheimdiensten. Die „Abwehr“ muss zurückkehren in unser politisches Denken. Um der hybriden Bedrohung durch Wladimir Putins Regime zu begegnen, müssen wir endlich verinnerlichen: Was Moskau nutzt, kommt meistens aus Moskau.

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